"Bevor wir ein Tier erlegen, überlegen wir oftmals lange, ob es reif ist."
Ob solche Aussagen wohl von einem reifen oder von einem unreifen Jäger stammen?
Ingrid Stenger, Otto und Bernd Spilger: Die Mitglieder von Jagdverband und Jagdbeirat rufen zu Rücksicht auf Wildtiere auf - Hunde jetzt anleinen
Vertreter aus dem Kreis Miltenberg fordern mehr Rücksicht auf Wildtiere -
Die ganze Natur ist derzeit eine Kinderstube. Junge Feldhasen ducken sich in Sassen, Fasanenküken verstecken sich in Wiesen, Lerchen brüten im Gras. Trächtige Rehgeißen brauchen Ruhe und neugeborene Kitze Schutz vor Hunden. Doch gerade jetzt zieht es auch Spaziergänger und Radler hinaus in Wald und Flur und dabei geht es für die Wildtiere nicht immer glimpflich ab. Jäger rufen deshalb auf, Rücksicht zu nehmen.
Über wildernde Hunde und bedrohte Hasen sprach Sonja Maurer mit Ingrid Stenger, der stellvertretenden Vorsitzenden der Ortsgruppe Obernburg im Jagdverband Bayern, mit Jagdverbands-Ehrenmitglied Otto Spilger und dem Vertreter der Jäger im Jagdbeirat des Landkreises Miltenberg, Bernd Spilger.
Was können Naturfreunde tun, um Wildtiere in den kommenden Wochen zu unterstützen?
Ingrid Stenger: Auf den Wegen bleiben und ihre Hunde anleinen. Das ist das Wichtigste, egal ob es sich um Spaziergänger, Radfahrer oder Reiter handelt.
Müssen Hunde im Wald nicht grundsätzlich an die Leine?
Otto Spilger: Es gibt gewisse Hunderassen mit einem stark ausgeprägten Jagdinstinkt, die grundsätzlich an der Leine gehen müssen. Zum Beispiel der ungarische Vorsteherhund Magya-Vizsla, der derzeit sehr in Mode ist. Aber auch Setter, Retriever und Beagle sind typische Jagdhunde. Im Frühjahr sollte die Leinenpflicht auch für alle anderen Hunde gelten. Denn die Tiere haben jetzt Nachwuchs. Bei den Rehen ist es eklatant. Die Kitze werden in den Wiesen abgelegt. Wenn ein Hund frei läuft und kurz in die Wiese geht, merkt der Besitzer oft nicht, was der Hund dort anstellt.
Was tun die Hunde denn Schlimmes?
Otto Spilger: Wenn das Kitz sich bewegt, wird der Hund wohl zubeißen. Aber es reicht auch schon, wenn er das Kitz nur ableckt. Die Mutter nimmt es dann wegen des Fremdgeruchs nicht mehr an. Das Kitz verhungert. Deshalb sollte man Kitze grundsätzlich nicht anfassen.
Ist ein wildernder Hund nicht eine Art natürlicher Feind?
Ingrid Stenger: Nein. Der Wolf hat das Kitz gerissen, um es zu fressen. Der Hund beißt nur...
...und der Jäger schießt es tot. Warum rufen gerade Jäger dazu auf, Wildtiere zu schützen, wenn sie sie im Herbst wieder aufs Korn nehmen?
Otto Spilger: Wir schießen Tiere nicht wahllos ab, sondern nehmen speziell älteres, krankes Wild aus der Bahn, damit sich junge, gesunde Tiere fortpflanzen. Bevor wir ein Tier erlegen, überlegen wir oftmals lange, ob es reif ist.
Bernd Spilger: Wenn der Jäger ein Tier erlegt, nimmt er eine Selektion vor. Der Hund tut das nicht.
Ingrid Stenger: Wir schießen nicht wild drauflos, sondern nach einem Abschussplan, der nach einer Bestandsaufnahme des Staates angefertigt wird. Gerade die Jäger waren oft gegen diese Pläne, weil uns die Abschusszahlen zu hoch waren.
Sie haben eben den Hasen erwähnt. Der Hase steht seit 1995 auf der roten Liste der gefährdeten Tierarten. Schießen Sie zu viele Hasen ab?
Otto Spilger: Nein. Wir haben uns vielmehr freiwillig auferlegt, dass wir gerade nicht auf Hasen, Rebhühner und Fasanen schießen, die ebenfalls seit rund 30 Jahren gefährdet sind. Wir freuen uns, dass es einen kleinen Bestand gibt. Es macht uns mehr Freude, die Tiere mit dem Fernglas zu beobachten, als die Flinte zu nehmen und sie zu erschießen.
Ingrid Stenger: Die Hasen wurden nicht von Jägern dezimiert. Vielmehr wurden ihnen die Lebensräume vom Menschen, insbesondere durch die Landwirtschaft genommen. Felder werden immer größer, sonst rechnen sie sich für die Landwirte nicht mehr. Dadurch fehlen Ackerraine mit Kräutern und Hecken, in denen die Tiere Deckung finden. Greifvögeln sind sie so schutzlos ausgesetzt. Gleichzeitig hat sich der Greifvogelbestand durch Schutzmaßnahmen erholt. Zum Leid des Hasen. Vergangenes Jahr haben wir in Großwallstadt gerade mal vier Hasen geschossen. Das war in der Baumschule Helmstetter.
Wäre es unter diesen Bedingungen nicht konsequent, Hasen gar nicht mehr zu schießen, wie es der Naturschutzbund Deutschland fordert?
Otto Spilger: Ja und Nein. Denn es gibt Gegenden, im Raum Schweinfurt etwa, wo ein guter Besatz herrscht. Auf den großen Gemüsefeldern dort mit Rüben und Kohl hat der Hase noch Chancen, seine Jungen hoch zu bringen. Es herrscht wenig Unruhe und es gibt kaum Füchse, die den Bestand mindern. Dort wird professionell kontrolliert.
Was heißt professionell kontrolliert?
Bernd Spilger: Bevor geschossen wird, gibt es Zählungen. Aufgrund dieser Zählungen errechnen die Jäger Abschusszahlen. Da werden dann 70 bis 150 Hasen erlegt. Vor zehn bis zwanzig Jahren waren es noch 200.
Otto Spilger: Die Jäger haben also eine freiwillige Hegeaufgabe übernommen. Wir sind froh und dankbar, wenn wir die Natur erhalten.
Was tun Jäger konkret, um Natur und Tiere zu schützen?
Ingrid Stenger: Wir legen Wildäcker und Schneisen an für den Zwischenfruchtanbau. Das hilft, den so- genannten Ernteschock zu überbrücken. Wenn im Herbst alles abgeerntet ist, gibt es für die Tiere plötzlich keine Verstecke mehr. Senfäcker puffern das ab und dienen später als Dünger. In extremen Wintern füttern wir mit Apfeltrester und Silomais zu, um das Wild über die harte Zeit zu retten. Aber nur in harten Wintern. Dieses Jahr war das nicht der Fall. Außerdem sind Jäger aktiv, wenn es darum geht, Wald und Flur sauber zu halten. Am heutigen Samstag beseitigen wir zum Beispiel Müll bei der kreisweiten Aktion saubere Flur.
Bernd Spilger: Wichtig ist auch der Dialog mit der Landwirtschaft. Wir bitten beispielsweise die Bauern, uns zu informieren, wenn sie Wiesen mähen. Dann können wir die Wiesen vorher abgehen und Kitze herausnehmen. Außerdem vermeiden wir es, im Wald zu schießen, wenn die Felder blühen oder die Ernte bevorsteht. Sonst würden wir die Tiere erst recht aus dem Wald auf die Äcker treiben. Damit Wildtiere überleben, brauchen sie vor allem Ruhe. Weil der Wald aber zunehmend Erholungsraum für Spaziergänger, Wanderer, Mountainbiker ist, müssen wir den Tieren Ruheräume gönnen. Jeder Schuss ist ein Stressmoment.
In Nordrhein-Westfalen will der Jagdverband als Tierschutzverein anerkannt werden. Das wurde ihm bislang versagt. Der Jagdverband klagt nun gegen das Land. Gibt es in Bayern ähnliche Bestrebungen?
Ingrid Stenger: Davon ist mir nichts bekannt, aber eine Anerkennung wäre sehr interessant. Denn wir sehen uns durchaus als Tierschützer, nicht als Schießer. Zu unseren Grundsatzaufgaben gehört es, die Lebensräume und das Kulturgut Jagd zu erhalten. Ein Klassenzimmer im Wald war schon immer mein Wunsch. Wenn ich mit Kindern zu tun habe, ist es mir wichtig, die Achtung vor dem Geschöpf zu vermitteln.
Hintergrund: Der Jagdbeirat des Landkreises Miltenberg
Das Landratsamt ist als Untere Jagdbehörde gesetzlich verpflichtet, Jagdbeiräte zu bilden. Sie beraten die Jagdbehörde und achten dabei auf einen gerechten Ausgleich zwischen Jagdinteressen und Belangen der Land- und Forstwirtschaft, der Fischerei und des Naturschutzes. Widerstreitende Interessen sind im Sinne des Gemeinwohls auszugleichen. Die Jagdbeiräte wirken mit, wenn es um Abschusspläne oder die Bestellung des Jagdberaters und der Wildschadensschätzer für den Kreis geht.
Der Jagdbeirat besteht aus je einem Vertreter der Landwirtschaft, der Forstwirtschaft, der Jagdgenossenschaften, der Jäger sowie des Natur- und Waldschutzes. Mitglieder sind Josef Schiepeck (Landwirtschaft), Stefan Beyer (Forst), Paul Grän (Jagdgenossenschaften) Bernd Spilger (Jäger) und Josef Fischer (Naturschutz). (Sonja Maurer)
http://www.main-netz.de/nachrichten/region/obernburg/obernburg/art4001,3009681