In Deutschland kommen Jäger nach ihrer Ausbildung ohne größere Schwierigkeiten an Waffen. Salafisten könnten sich dies für ihre Vorhaben zunutze machen.
Dass Max gefährlich werden könnte, außer im Straßenverkehr, sah man dem klapprigen Moped nicht an, mit dem er zur Schießanlage tuckerte. Woche für Woche, Monat für Monat, auch im Winter, ein halbes Jahr lang nach Großdobritz: 57 Kilometer von Dippoldiswalde, wo er seit Kindertagen lebte; 36 Kilometer von Dresden, wo er im VEM Sachsenwerk Werkzeugmacher lernte.
"Er kam immer mit diesem kaputten Moped", sagt einer seiner Ausbilder. "Zweimal musste er es sogar auf dem Schießstand stehen lassen, weil es nicht mehr ansprang. Finanziell war er sehr schwach." Max sparte an Patronen, wenn er auf Tontauben, Klapphasen, Scheiben und den laufenden Keiler schoss. Doch die Jägerprüfung schaffte er. "Im April." Max war gerade 19 Jahre alt geworden. Bis zum Ramadan, den er schon als Moslem beging, waren es von da an noch zwei Monate. Dann, am ersten Sonntag im September, bestieg Max am Dresdner Hauptbahnhof den Zug nach München. Mit dem Fernbus ging es von dort in die Türkei. Neben ihm saß sein Freund, der Jenaer Sportstudent Samuel W., ein freundlicher, hilfsbereiter und netter junger Mann, wie es heißt. Die zwei aus Dippoldiswalde wollten nach Syrien in den Dschihad, in den sogenannten heiligen Krieg - dort sind sie jetzt.
Es begann im Herbst vorigen Jahres. Da erschien Max das erste Mal auf der Schießsportanlage.
Inmitten von Feldern am Rande eines Laubbaumhains liegt sie südwestlich von Großdobritz; zur Deponie ist es nicht weit. Tagelang, ohne dass sich einer daran stört, kann man dort schießen und es lernen. "Im Oktober hat er sich in den Lehrgang eingeschrieben", erinnert sich ein Ausbilder. "Da war er noch nicht zum Islam übergetreten, denke ich." Dass Max insgeheim Israel hasste, war auch nicht erkennbar. Nur im Internet, auf seiner privaten Facebook-Seite, ließ Max seinen Hass und seine Wut erkennen. Freunde konnten das wohl sehen; die Jagdausbilder nicht. Es gab also auf dem Schießsportstand in Großdobritz keinen Grund, misstrauisch zu sein. Das polizeiliche Führungszeugnis war sauber. Kein Eintrag, keine Vorstrafe, somit war der Weg zum Jagdschein frei. "In solch einem Fall haben die Ausbilder keine Chance", sagt ein Schießlehrer. "Sie können nicht merken, wohin jemand sich entwickelt.
Man hat auch nichts gemerkt." Auf dem Schießstand fiel Max nicht durch Glanzleistung auf. "Ich glaube, er war ein mittelmäßiger Schütze. Woran ich mich erinnere, war, dass er wenig trainiert hat und das Schießen mit wenig Energie betrieb." Mit der Bockflinte 12/70 wurde geübt, auch mit der Repetierbüchse 222, einer sehr genauen Waffe. Kaliber 5.6 wird mit ihr verschossen: die alte Nato-Patrone. "Damit kann man auf hundert Meter eine Euro-Münze durchschießen." 35 bis 40 Stunden hat Max P. mit den Gewehren auf dem Schießstand trainiert. Dazu kamen 120 Unterrichtsstunden Theorie. "Nach der Jägerprüfung habe ich ihn nicht mehr gesehen", sagt ein Ausbilder. Auch bei anderen Jägern ist Max P. nicht bekannt. "Einen P. hatten wir hier noch nie im Verein", sagt Ralf Schnabel, Präsident des Jagd- und Schützenvereins Großdobritz. Bei Jagdverbänden nahe Dippoldiswalde tauchte Max P. ebensowenig in der Mitgliederkartei auf.
Führungszeugnis sagt nicht alles aus
Nun steht deshalb, noch ohne Antwort, die Frage im Raum: Warum wollte Max, der Lehrling mit dem kaputten Moped, den kostspieligen Jagdschein erwerben? Warum investierte der junge Deutsche summa summarum circa 2000 Euro: 1500 Euro in den Ausbildungskurs, 250 Euro in die Prüfgebühren, etwa 100 Euro in Patronen, 150 Euro in Lehrmaterial? Um die Jagd in Sachsens Wäldern ging es ihm wohl weniger. "Wenn man einen Jagdschein besitzt, hat das ja auch den Effekt, dass man relativ schnell privat legal an Waffen kommt", sagt jemand, der Max vom Schießstand kennt. Das könnte eine Antwort sein. Und dann sagt die Person: "Er hat Waffen gekauft, über das Internet."
Damit gewinnt der Fall von Max und Samuel, den zwei Dschihadisten aus dem Osterzgebirgischen, eine neue Qualität. "Jetzt ist auch einer aus der Gruppe der Jagdscheinbesitzer dabei.
Das ist neu", sagt Friedhart Werthschütz. Dem stellvertretenden Vorsitzenden des Jagdverbandes Weißeritzkreis nahe Dippoldiswalde ist sofort bewusst: Jetzt können sich neue Aufgaben, neue Herausforderungen für die Behörden ergeben. Denn eins ist klar: Ein lupenreines Führungszeugnis sagt nicht alles aus. Deutsche Dschihadisten, die sich als Jäger tarnen, um legal an Waffen zu gelangen - dieses Szenario ist nun real. Und die Gefahr, die davon ausgeht, ist beträchtlich.
"Jeder Jäger darf sich zwei Kurzwaffen zulegen und so viele Langwaffen, wie der Geldbeutel hergibt", erklärt Dirk Höppner, Vorsitzender des Jagdverbandes Dresden e.V. Ein wenig aufwendig ist allein der Kauf von Kurzwaffen, also von Pistolen und Revolvern. Auch ein Jäger kann nicht einfach ein Waffengeschäft betreten und schnell mal Kurzwaffen kaufen. Vielmehr muss er zunächst bei der Waffenbehörde einen Antrag stellen. Anschließend wird der Kauf in die Waffenbesitzkarte eingetragen. Da auf diese Daten alle Ordnungsämter Zugriff haben, kann in Deutschland kein Jäger mehr als zwei Kurzwaffen kaufen. Anders sieht das bei Langwaffen aus. Deren Kauf erfolgt ohne Genehmigung der Waffenbehörde. Der Jäger muss lediglich belegen, dass er einen abschließbaren Waffenschrank besitzt. Die gibt es für drei, fünf, sieben, zehn und noch mehr Gewehre. Jeder Jäger darf so viele Langwaffen kaufen, wie für den Waffenschrank genehmigt sind. Theoretisch ist damit die Zahl der Langwaffen eine Frage der Waffenschränke.
Wegen der laufenden Ermittlungen gegen den 19-jährigen Max P. und den 21 Jahre alten Samuel W. erteilt die Staatsanwaltschaft Dresden derzeit keine Auskünfte. Die beiden stehen im Verdacht, eine schwere staatsgefährdende Straftat im Ausland verüben zu können. Plötzlich bekommen die Geschehnisse eine eigene Logik: 2013 reisen Samuel und Max gemeinsam in den Urlaub nach Nordafrika. Sie besuchen Tunesien, ein muslimisches Land, in dem der Islam Staatsreligion ist. Im April 2014 legt Max in Sachsen die Jagdprüfung ab. Im selben Monat gibt Samuel sich an der Universität in Jena als Moslem zu erkennen. Nach der ersten Vorlesung tritt er auf seine neue Dozentin zu und fragt sie unvermittelt, ob sie einen Raum für ihn habe. Er müsse jetzt beten, entgegnet er auf die verdutzte Nachfrage. Erfolglos zieht Samuel von dannen, aus seinem Rucksack heraus ragt die Gebetsmatte. Dann beginnt der Ramadan. Ende Juni taucht Samuel im Islamischen Kulturzentrum Jena e.V. auf. Die muslimische Gemeinde dort hängt der salafistischen Rechtsschule an. Salafisten sind Moslems, die einen islamischen Steinzeit-Staat nach dem Vorbild des 7. Jahrhunderts errichten wollen. Die meisten Salafisten streben diesem so genannten Gottes-Staat gewaltlos entgegen; andere jedoch mit brutaler Gewalt. Die Mörderbande des sogenannten Islamischen Staats (IS) ist das derzeit bekannteste Beispiel für diesen Extremismus.
Keine Möglichkeit, sie aufzuhalten
Eyyad Danoura, Vorsitzender der friedlich wirkenden salafistischen Gemeinde in Jena, erinnert sich: "Samuel war der erste männliche deutsche Konvertit, den ich hier getroffen habe. Er war ganz ruhig, ganz lieb und hilfsbereit. Ich hatte ihn ein paarmal in unserer Gemeinde getroffen. Wir hatten auch das Fastenbrechen zusammen gemacht. Ich sagte ihm, dass er das nicht durchhalten kann: fasten und Sport machen. Aber er sagte, er schafft das." Ob das ein Hinweis auf eine Radikalisierung war? Immerhin nahm Samuel den Rat einer religiösen Autorität nicht an. Er widersprach sogar. Etwa zeitgleich, ebenfalls während des Ramadans, suchte in Dresden Max die Nähe zu muslimischen Gemeinden. Ob Samuel immer dabei war, ist nicht sicher. "Ich habe nur einen gesehen, und der wirkte eigenbrötlerisch, distanziert und absolut unnahbar", erinnert sich Khaldun Al Saadi, der Presseverantwortliche der Alfaruq Moschee, Dresden, Flügelweg 8. Das war Max, wie Al Saadi heute weiß. Max sei "nach dem Freitagsgebet immer schnell weg" gewesen und habe sich "am Gemeindeleben nicht beteiligt". Der junge Mann sei "nicht in unsere Gemeinde integriert" gewesen, sagt Al Saadi. "Wir haben auch nicht gewusst, dass sie die Intention hatten, nach Syrien zu gehen. Wir hatten nicht die Möglichkeit, sie aufzuhalten." Nach Recherchen unserer Zeitung hatten Max und Samuel auch andere muslimische Gebetsstätten in Dresden aufgesucht. Dort verkehren Studenten, Asylbewerber und Muslime aus vielen Teilen der Erde. Es gibt Zeiten, da gibt es dort eine hohe Fluktuation. Auch Max und Samuel kamen und gingen - und sie redeten auch über ihre Pläne, nach Syrien in den Dschihad zu ziehen.