In steter Regelmäßigkeit malen Kommunen, Jäger und Landwirte das Schreckgespenst einer völlig aus dem Ruder laufenden Wildschweinplage an die Wand. Angeblich nehmen Flurschäden durch Schwarzwild dramatisch zu. Die Jägerschaft konstatiert, dass sie mit ihrem Latein am Ende sei, Wildschweine seien mit jagdlichen Mitteln nicht mehr zu "regulieren". Statt jedoch innovative Konzepte zu entwickeln, setzt die Politik weiter auf die Jagd als vorgeblich effektivste Maßnahme, um die rasanten Zuwachsraten der Schwarzkittel zu stoppen.
Jagd fördert das Wachstum der Bestände
Schuld am explosionsartigen Anwachsen der Wildschweinpopulationen seien die verringerte, durch mildere Winter bedingte Frischlingssterblichkeit und ein überreichliches Nahrungsangebot, besonders durch die Ausweitung des Maisanbaus (für Biosprit und Masttierfutter).
Dabei ist die Jagd oft selbst das Problem. Durch Zufütterung werden naturgegebene Nahrungsengpässe etwa im Winter, auf die Wildtiere mit geringeren Geburtenraten reagieren würden, wieder ausgehebelt. Beispielsweise werden über die Kirrjagd ähnliche Energiemengen in die Schwarzwildpopulationen eingebracht wie über den gesamten Feldmaisanbau. Selbst das Positionspapier "Schwarzwild in Deutschland" des Deutschen Jagdverbandes nennt u. a. die „teilweise unverhältnismäßig hohe Verabreichung von Futtermitteln über unsachgemäße Kirrungen und Ablenkfütterungen" als einen Grund für die hohen Schwarzwildbestände.
Zudem reagieren insbesondere zahlenmäßig starke Wildtierpopulationen wie Rehe, Wildschweine, Füchse oder auch Waschbären auf jagdlich bedingte hohe Verluste und die Zerstörung von Familienverbänden mit erhöhten Reproduktionsraten. Eine französische Langzeitstudie kam beispielsweise zu dem Ergebnis, dass die intensive Bejagung von Wildschweinen in Verbindung mit einem üppigen Futterangebot sowohl die Fruchtbarkeit als auch die Geschlechtsreife stimuliert, so dass bereits Frischlingsbachen trächtig werden.
Schäden durch Wildschweine im Promillebereich - Wildschadenfond ausreichend
Bislang werden Flurschäden durch Schwarzwild nicht amtlich erfasst. Laut Stellungnahme des Ministeriums für Ländlichen Raum und Verbraucherschutz sind die Schäden in Baden-Württemberg (gemessen am landwirtschaftlichen Gesamtgewinn von rund 2 Mrd. Euro) aber durchaus überschaubar: Nach Erhebungen der Wildforschungsstelle Aulendorf beläuft sich der jährlichen Schaden hierzulande demnach auf durchschnittlich 2 Euro pro Hektar landwirtschaftliche Nutzfläche (oder hochgerechnet auf 1 bis 3 Mio. € insgesamt). Das sind gerade mal 10 bis 30 Cent pro Einwohner und Jahr! Um das Schadenproblem in den Griff zu bekommen, braucht es keine intensive Bejagung fast rund ums Jahr. Mit einem landesweiten Wildschadenfonds würden die monetären Schäden leicht ausgeglichen werden. Finanziert werden könnte der Fond durch die Kommunen (z.B. über Jagdpachteinnahmen) und die Land- und Forstwirtschaft. Alternativ wäre auch eine geringe allgemeine Abgabe seitens der Steuerzahler möglich.
Tierschutz
"Wildtiere sind weder für den Klimawandel noch für die Vermaisung der Landschaft verantwortlich. Es kann nicht angehen, dass sie den Kopf hinhalten müssen für das, was der Mensch verbockt", meint die Vorsitzende Marie-Luise Strewe. "Eine Intensivierung der Wildschweinbejagung ist aus Tierschutzsicht nicht nur kontraproduktiv, sondern auch tierschutzwidrig."
Der Verband Menschen für Tierrechte ‒ Tierversuchsgegner Baden Württemberg e.V. fordert deshalb neben der Einrichtung eines Wildschadenfonds:
- den verstärkten Einsatz non-letaler Maßnahmen zur Wildschadensvermeidung, zur Bestandskontrolle und zum Schutz vor Seuchen (z.B. mittels chemischer Vergrämungsmittel, mechanischer Schutzvorrichtungen, Impfungen usw.)
- ein absolutes Fütterungsverbot für Wildschweine einschließlich Kirrungen
- ein Verbot von Schüssen auf flüchtende Tiere (bei Bewegungsjagden werden bis zu 70 Prozent der Tiere nicht sofort durch Blattschüsse getötet, sondern erleiden qualvolle Kiefer-, Bauch- und Laufschüsse)
- den Stopp des tierschutzwidrigen Saufangprojekts in Baden-Baden
- den Einsatz von Kontrazeptiva (Wildschweinpille) in Gebieten mit hoher Schwarzwilddichte
Quellen:
- Ende eines Dogmas. Editorial In Wild und Hund, 9/2014
- ARNOLD, W.: Schwarzwild - Bestandesdynamik und Einflussfaktoren [2011]
- HOHMANN, U; HUCKSCHLAG: Schwarzwild: Kirrmais versus Feldmais, Forschungsanstalt für Waldökologie und Forstwirtschaft, Rheinland-Pfalz, Stand 2.3.2010
- SERVANTY, S. et al (2009) Pulsed resources and climate-induced variation in the reproductive traits of wild boar under high hunting pressure; J Anim Ecol. Nov;78(6):1278-90)
- Stellungnahme des Ministeriums für Ländlichen Raum und Verbraucherschutz. Zunehmende Schäden durch Schwarzwild in Baden-Württemberg. Landtag von Baden-Württemberg (Drucksache 15 / 3508 vom 15. 05. 2013)
- Noch 42 500 landwirtschaftliche Betriebe in Baden-Württemberg. Statistisches Landesamt BW, 2013. http://www.statistik-bw.de/Pressemitt/2013298.asp
- Landwirtschaftliche Betriebsverhältnisse und Buchführungsergebnisse (Heft 16, Wirtschaftsjahr 2011/12, S.3) https://www.landwirtschaft-bw.info/pb/site/lel/get/documents/MLR.LEL/PB5Documents/mlr/pdf/h/Heft_61_Textteil.pdf___##24##______##11##___
- Landwirtschaftliche Einkommen 2012/13 stabilisieren sich. Badischer Landwirtschaftlicher Hauptverband, 2013 http://www.blhv.de/presse/pressemitteilungen/2013/landwirtschaftliche-einkommen-201213-stabilisieren-sich