Ökosystem in Gefahr

Eine Forschergruppe schlägt Alarm: Allein die Thunfischbestände sind auf hoher See in den vergangenen 50 Jahren um mehr als die Hälfte geschrumpft. Die Fischerei in internationalen Gewässern müsse gestoppt werden - sofort und komplett.
Vancouver/Rostock- Für Naturschützer klingt dieser Ratschlag einleuchtend, aber lässt er sich mit den Interessen der Industrie vereinbaren? Eine internationale Forschergruppe findet, dass beides zusammengeht: Um die Fischbestände zu schützen, raten die Wissenschaftler zu einem Stopp der Hochseefischerei. Internationale Gewässer sollten künftig als Fischreservoir dienen, empfiehlt das Team um Rashid Sumaila von der University of British Columbia in Vancouver.
Einbußen der weltweiten Fangmengen seien nicht zu erwarten, wenn die Erträge in küstennahen Gewässern um mindestens 18 Prozent steigen würden, kalkulieren sie im Fachblatt "Scientific Reports". Dies sei realistisch. Verlierer einer solchen Regelung wären demnach jene wenigen Länder, die in großem Stil Hochseefischerei betreiben, profitieren würden aber die meisten Küstenstaaten, darunter viele Entwicklungsländer, betonen die Wissenschaftler.
Daten zu Fangmengen ausgewertet
Das Seerechtsübereinkommen der Vereinten Nationen teilt die Meere in zwei Teile: die ausschließlichen Wirtschaftszonen (Exclusive Economic Zones; EEZ), die nur den Anrainerstatten bis auf 200 Seemeilen - etwa 370 Kilometer - vor der Küste zustehen. Die Hochsee-Areale sind dagegen internationale Gewässer. Die Ausbeutung dieser Gewässer durch die Hochseefischerei sei zunehmend Anlass zur Sorge, schreiben die Forscher der University of British Columbia. So seien die Bestände von Thunfischen und ihrer Verwandten in den vergangenen 50 Jahren im Mittel um 60 Prozent geschrumpft.
Außerdem gefährde die derzeitige Fischereipraxis das empfindliche Ökosystem der Tiefsee. "Die intensive Hochseefischerei hat zu einer Zerstörung der Lebensräume und schwindenden Beständen von Arten wie Thun- oder Schwertfischen geführt", wird Koautorin Isabelle Côté von der Simon Fraser University in Burnaby (Provinz British Columbia) in einer Mitteilung ihrer Universität zitiert.
Globalen Fangmengen würden nicht sinken
Die Forscher untersuchten, wie sich ein Ende der Hochseefischerei auf die weltweiten Fangmengen auswirken würde. Dazu werteten sie Daten zu Fangmengen aus und untersuchten, woher die gefangenen Fische kamen. Demnach sind nur etwa 0,1 Prozent der gefangenen Fische ausschließlich Hochseebewohner. Etwa 70 Prozent der weltweit gefangenen Fische kommen sowohl in ausschließlichen Wirtschaftszonen als auch in internationalen Gewässern vor.
Utopische Forderung?
Am Ende ihrer ausführlichen Datenrecherche kommen sie zu folgendem Schluss: Selbst wenn die Hochseefischerei komplett eingestellt würde, würden die globalen Fangmengen nicht unbedingt sinken. Vorrausgesetzt, die Fangmengen jener Arten, die in beiden Zonen vorkommen, steigen um 18 Prozent. Dies sei realistisch, da die auf hoher See geschonten Bestände sich auch auf küstennahe Gewässer ausbreiten würden. Die Forscher verweisen auf eine frühere Berechnung, der zufolge die Fangmengen sogar um 42 Prozent steigen würden.
Davon könnten die weitaus meisten Anrainerstaaten der Meere profitieren. Verlierer wären jene Länder mit großen Hochseefangflotten wie Japan, Taiwan und Südkorea, aber auch Spanien und Frankreich. Gegenwärtig fangen zehn Nationen 71 Prozent jener Fische, die aus internationalen Gewässern stammen. "Realistisch betrachtet würde ein Stopp der Hochseefischerei weltweit nicht in verminderten Fangmengen resultieren", resümiert Côté.
Christopher Zimmermann, Leiter des Thünen-Instituts für Ostseefischerei in Rostock, spricht von einer enormen Fleißarbeit der Forscher. Allerdings seien die Ergebnisse sehr spekulativ. Es sei bekannt, dass die meisten Fische in küstennahen Gewässern lebten, betont der Experte. Auf hoher See werde vor allem den großen Räubern wie etwa Thunfischen nachgestellt, die jedoch beim Verkauf besonders hohe Preise erzielen.
Die Grundforderung eines Fischereiverbots für internationale Gewässer sei zwar ein nettes Gedankenspiel, politisch und rechtlich gesehen jedoch utopisch, sagt er. Sinnvoller sei es dagegen, die Tiefseefischerei mit ihren schädlichen Folgen für dieses besonders empfindliche Ökosystem stark zu reglementieren.