Jagd und Politik hingen bei Erich Honecker immer eng zusammen. Immerhin war es ein Jagdausflug mit dem sowjetischen Parteichef Breschnew, der ihn 1971 an die Spitze der SED befördert hat. Begleitet in seine Jagdhütte in der Schorfheide hat ihn dabei stets sein Leibwächter Bernd Brückner. Auch an dem Tag, als der ehemalige DDR-Staatschef seinen letzten Hirsch erlegte.
Tief versteckt in den Wäldern der Schorfheide, knapp 80 Kilometer nördlich vom Berliner Stadtzentrum, liegt die Jagdhütte Wildfang. Seit Jahrzehnten steht das Fachwerkhäuschen leer. Nichts erinnert heute mehr daran, dass hier mal so etwas wie die inoffizielle Machtzentrale der DDR war. Denn der passionierte Jäger Erich Honecker hatte Wildfang seit den 60er Jahren gemietet. "Hier wurde oft mehr besprochen als im Politbüro", erinnert sich Bernd Brückner, der 13 Jahre lang Leibwächter an Honeckers Seite war.
VideoDie finale Pirsch
Und er ist auch dabei, als sich Erich Honecker am Mittag des 8. November ein letztes Mal zu seiner Jagdhütte fahren lässt. Nur einen Tag vor dem Fall der Mauer will der einst mächtigste Mann der DDR noch einmal einen kapitalen Hirsch schießen, eine spektakuläre Trophäe mit nach Hause nehmen. Mit seinen verbliebenen Leibwächtern und dem Generalforstmeister bricht Honecker gegen 13:30 Uhr zur Jagd auf, so wie immer. Wenig deutet darauf hin, dass er vor 22 Tagen entmachtet wurde. "Er war gelassener nach dem Sturz“, erinnert sich Brückner. "Er hat geahnt, dass er weniger Kompetenzen hat, da wollte er noch einmal die Jagd genießen."
Einer fehlt allerdings bei dieser letzten Pirsch: Honeckers enger Jagdfreund Günter Mittag. Der SED-Wirtschaftssekretär war jahrzehntelang immer mit dabei. Für ihn wurden eigens Treppen an die Hochsitze in der Schorfheide gebaut, denn nur so gelangte der beinamputierte, auf Prothesen gehende Politiker hinauf. Doch Mittag hatte am Sturz des Staatsratsvorsitzenden Mitte Oktober 1989 mitgewirkt, die Männerfreundschaft ist zerbrochen. Honeckers Jagdeifer leidet darunter allerdings nicht. In den sogenannten Streckenbüchern ist verzeichnet, dass Honecker am Nachmittag des 8. November sechs Stück Wild erlegt.
Erich Honecker (li.) und Leonid Breschnew 1971 gemeinsam auf der Jagd in der Schorfheide.
Seine Jagdleidenschaft entdeckt Erich Honecker in den 50er Jahren. Schon bald geht sie weit über ein privates Freizeitvergnügen hinaus. Der SED-Politiker nutzt die Jagd auch zum politischen Ränkespiel. Jenseits des Protokolls, fernab vom Regierungsviertel in Ost-Berlin, lässt es sich leichter über hochbrisante Themen reden. In den 60er Jahren baut er ein freundschaftliches Verhältnis zum sowjetischen Staatschef Leonid Breschnew auf. "Walter Ulbricht konnte nicht mit Breschnew", weiß Helmut Suter, Jagdhistoriker und Leiter des Schorfheidemuseums. "Er hat ihn Erich Honecker überlassen, waren doch beide passionierte Jäger." Jahre später trägt dieses Männerbündnis entscheidend zur Entmachtung des Staatsratsvorsitzenden bei. Im Mai 1971 wird Ulbricht im Gästehaus der Regierung am Döllnsee zum Rücktritt genötigt.
ProgrammhinweisHonecker wird sein Nachfolger und damit zum mächtigsten Mann im Staat. Mindestens dreimal in der Woche fährt er nun zum Jagen in die Schorfheide. Oft dabei ist auch Erich Mielke, der Minister für Staatssicherheit. Und auch Staatsgäste nimmt Honecker gerne mit zur Jagd. Im Jagdschloss Hubertusstock empfängt er 1981 unter anderem Bundeskanzler Helmut Schmidt.
Das Ende 1989Bis zum Ende seiner Laufbahn lässt er keine Gelegenheit aus, Politik und Jagd zu verbinden. Seine Jagd-Leidenschaft grenzt an Besessenheit. Daran ändert auch der Herbst 1989 nichts. Als die ersten Massendemonstrationen im September beginnen, weist er seinen Leibwächter an, die riesige Waffensammlung aus seiner Jagdhütte in Sicherheit zu bringen. "Er wollte nicht, dass sie in falsche Hände gerät", sagt Bernd Brückner.
Nur seinen geliebten Karabiner behält Honecker. Mit ihm schießt der 77-Jährige am 8. November seinen letzten Rothirsch. Honeckers letzte Jagd endet um 16 Uhr. Eine Woche später wird das Sonderjagdgebiet Schorfheide aufgelöst.
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