Um den Wald an den Klimawandel anzupassen, sollen mehr Eichen, Buchen und Tannen gepflanzt werden. Doch diese Arten schmecken den Rehen besonders gut. Wo sind die Lösungen?
Eine kleine Tanne im Biburger Wald, wie es sich die Förster vorstellen. Der Baum kann ohne Schutz wachsen, weil er vom Rehwild nicht verbissen wird. Das ist nicht überall so.
Draußen im Biburger Wald: Hubert Droste ist zufrieden. Den Distrikt Buch führt er als Paradebeispiel vor, wie die Tanne in freier Natur auch ohne Baumschutz-Gitter oder Zaun wachsen kann. Das alles, sagt der Leiter des Forstbetriebs Zusmarshausen (Landkreis Augsburg), sei nur möglich, weil das Rehwild hier intensiv bejagt werde.
Szenenwechsel. Im Streitheimer Forst zeigt Droste, weniger erfreut, zehn Jahre alte Buchen, die gerade mal 40 Zentimeter hoch sind – verbissen vom Rehwild und in ihrem Wachstum nachhaltig beeinträchtigt. Zwar würden auch in diesem Revier große Anstrengungen unternommen, den Wildbestand zu reduzieren, sagt der Förster. Doch in unmittelbarer Nähe zur Autobahn seien etwa erfolgversprechende Drückjagden, bei denen die Tiere den Schützen zugetrieben werden, viel zu gefährlich.
Förster und Jäger im Streit um die Abschusszahlen von Rehwild
Warum diese beiden Ortstermine? Seit Jahren streiten Förster und Jäger über die Abschusszahlen des Rehwilds. Einfach ausgedrückt: Die Jäger, die ihre Reviere für teures Geld pachten, wollen mehr Rehe sehen und weniger erlegen. Der Forst wiederum dringt auf einen hohen Abschuss, um die Verbissschäden zu minimieren und den Umbau des Waldes von Fichtemonokulturen in stabile Mischwälder voranzubringen. Es ist ein heftiges Scharmützel zwischen den Grünröcken, ein Glaubenskrieg im Unterholz.
Angeheizt hat ihn jüngst Moritz Fürst zu Oettingen-Wallerstein. Der 67-Jährige, selbst Besitzer von 10 000 Hektar Wald im Landkreis Donau-Ries und Vizepräsident des Bayerischen Jagdverbandes, warf den Staatsforsten einen „Vernichtungsfeldzug“ gegen das Rehwild vor. Den Forstbeamten gehe es nur mehr um Erlöse und den Waldumbau, Rehe würden da nur stören.
Die Attacken des Fürsten haben Droste und seinen Kollegen Elmar Bernauer, Leiter des Forstbetriebs Kaisheim (Landkreis Donau-Ries), verärgert. Es sei Aufgabe des Forstes, sagt Bernauer, künftigen Generationen einen zukunftsfähigen und nachhaltig nutzbaren Wald zu hinterlassen. „Es ist kein Selbstzeck, dass wir viel schießen. Unsere Aufgabe ist es, den Wald für die kommenden Klimaveränderungen fit zu machen. Dazu brauchen wir auch verbissempfindliche Baumarten wie Eiche, Tanne oder Douglasie.“
Bernauers Wunsch wäre es, zur Risikominderung in jedem Bestand sechs Baumarten zu haben. Allein der Forstbetrieb Kaisheim gebe auf einer Fläche von rund 17.700 Hektar jährlich 200.000 Euro für den Schutz vor Wildverbiss aus.
Die Rehe fressen Alles, außer Fichte
Um die waldbauliche Zielsetzung erfüllen zu können, seien jedoch angepasste Wildbestände zwingend erforderlich. „Sie sind nach wie vor zu hoch“, betont Hans Marz, Vorsitzender des Nutzungsrechtewalds der Gemeinde Dinkelscherben im Landkreis Augsburg. „Fakt ist: Alles, was nicht Fichte ist, wird von den Rehen im Wald verbissen.“ Und dies sei für ihn in der anhaltenden, bisweilen scharf geführten Diskussion zwischen Forst und Jagd das „alleinige Kriterium“.
Droste wie Bernauer treten entschieden der weitverbreiteten Meinung entgegen, es gebe heute deutlich weniger Rehe als noch vor Jahren. Gegen diese These würden allein schon die kontinuierlich wachsenden Abschusszahlen sprechen, betont Droste. Wurden in Bayern von 2001 bis 2003 insgesamt 826 113 Rehe erlegt, waren es von 2010 bis 2012 immerhin 922 555.
„Wir haben steigende Rehwildstrecken. Im Verhältnis zum Lebensraum sind die Bestände insgesamt auf einem hohen Niveau“, sagt auch Georg Windisch, Leiter der Bayerischen Forstverwaltung im Landwirtschaftsministerium. Windisch, selbst seit 40 Jahren Jäger, spricht von einem verbesserten Lebensraum für das Wild. „Es gibt mehr Deckung und Äsung in den Wäldern.“
Früher, ergänzt Droste, hätten sich die Rehe vor allem im Bereich der Wiesen aufgehalten. Heute müssten sie den Wald gar nicht mehr verlassen, „weil sie dort die bessere Nahrung finden“. Kurz: Man sieht weniger. Die Jagd sei schwieriger geworden, die Ansprüche an die Jäger seien gewachsen, sagt Rudolf Freidhager, Vorstandsvorsitzender der Bayerischen Staatsforsten in Regensburg.
Ein Wald ohne Wild kommt nicht in Frage
„Wir wollen keinen Wald ohne Wild“, darin sind sich die Forstleute einig. Um die Verjüngung weiter voranzubringen, die Baumarten an den Klimawandel anzupassen und auch Buche und Eiche ohne Verbiss hochzubringen, seien enorme Anstrengungen nötig. Im Forstbetrieb Zusmarshausen etwa soll die Fichte auf einer 7000 Hektar großen Fläche durch Tanne, Lärche und Douglasie ersetzt werden. Das Dilemma: Vor allem die kleinen Buchen-, Eichen- und Tannenpflanzen ziehen das Reh, bekanntermaßen ein Feinschmecker, geradezu magisch an.
Teure Zäune um Aufforstungsflächen, wie sie früher weit verbreitet waren, sind bei der Dimension des Waldumbaus heute aber kaum noch denkbar. Windisch nennt Zahlen: Von Mitte der 80er Jahre bis heute habe der Staatsforstbetrieb rund 30 Millionen Euro jährlich an Ausgaben für Pflanzen und Schutzmaßnahmen gespart. „Die Jagd hat dafür zu sorgen, dass standortgerechte Wälder wachsen.“ Und Freidhager ergänzt: „Wenn der Wildbestand passt, hat die Natur eine große Dynamik.“ Er habe in Bayern selten so schöne Waldbilder gesehen. „Und ich sehe auch keine hoffnungslose Baumart mehr.“
Um die hohen Rehwild-Abschusszahlen überhaupt erfüllen zu können, nutzen die Staatsforsten verstärkt revierübergreifende Drückjagden. Stundenlange Ansitze, bei denen die Jäger oft bis tief in die Nacht auf das Wild warten, reichten alleine nicht mehr aus. „Wir sind auf Drückjagden angewiesen“, sagt Freidhager. „Sie werden zur effektiven Abschusserfüllungen immer wichtiger“, meint Bernauer.
Doch gerade dagegen ziehen nun die Jagdpächter zu Felde. In einer gemeinsamen Resolution beschlossen nordschwäbische Jäger, „revierübergreifende Drückjagden mit Hunden nicht mehr zu dulden – es sei denn, sie beziehen sich ausschließlich auf Schwarzwild, Raubwild und Raubzeug“. Richard Kraus, stellvertretender Vorsitzender der Kreisjägervereinigung Dillingen, sagt, man könne dem Staat die Jagd selbstverständlich nicht verbieten. Kraus: „Wenn jedoch Hunde bei Drückjagden aus den Staatsforsten in die angrenzenden Pirschbezirke privater Pächter eindringen, ist dies nicht mehr zu tolerieren.“
Diese aufwendigen Jagden seien ursprünglich organisiert worden, um die Schwarzwild-Population einzudämmen. Dies sei auch richtig, so Kraus. Man wolle der Landwirtschaft helfen, Schäden durch Sauen auf den Feldern zu vermeiden. „Doch bei den Jagden werden inzwischen auch viele Rehe geschossen.“ Das habe in den vergangenen Jahren dazu geführt, „dass sich die Bestände in unseren Revieren drastisch verringert haben“.
Mit dieser Einschätzung widerspricht er – bei allem Verständnis für den nötigen Waldumbau – entschieden dem Forst. Windisch wie Freidhager bleiben jedoch dabei: In den jagdlichen Bemühungen dürfe nicht nachgelassen werden. „Der Wildbestand würde ansonsten rasant ansteigen und das wäre am Wald abzulesen.“