Quantcast
Channel: Der Anti-Jagdblog - News über Jagd & Wildtiere
Viewing all articles
Browse latest Browse all 1941

Ist Jagd Mord?

$
0
0

Man liebt oder man hasst sie. Für die einen ist sie unbändige Leidenschaft, für die anderen grausames Ritual. Sicher ist: Die Jagd weckt grosse Gefühle, und sie lebt von vorsätzlicher Tötung.

http://images.nzz.ch/eos/v2/image/view/620/-/text/inset/925dfbec/1.18411964/1414348878/freischuetz-stuttgarter-staatsoper.jpg
«Wem sprudelt der Becher des Lebens so reich?» – die Jagdleidenschaft sorgt nicht nur für gesellschaftspolitische Auseinandersetzungen, sie ist auch ein treffliches Sujet für die Oper. Szene aus dem «Freischütz» der Stuttgarter Staatsoper.

Maiskörner hatte er unter den Steinen in der Lichtung versteckt. Dann hiess es ausharren. Fiebrige Erwartung erfüllte diese laue Sommernacht; Erwartung auf das, wovon er schon seit Kindheitstagen träumte. Er wurde nicht enttäuscht. Als Wolkenschleier das Mondlicht dämpften, kamen sie mit grunzendem Geräusch aus dem Unterholz hervor, die Bachen mit ihren Frischlingen, um nach den Körnern zu suchen. «Sein» Frischling verharrte kurz abseits der Gruppe. Das war sein Ende. Ein krummer Finger, ein lauter Knall. Es war vollbracht.

Endlich Beute gemacht!

Weidmännisches Freudengeheul? Mitnichten! Denn der Frischling lag nicht da, wo er liegen sollte, wenn ein Schuss schlagartig tötet. Doch der Hund hatte den Gejagten sofort in der Nase. Mausetot lag er etwas weiter weg unter den Fichten. So beschreibt der Journalist und Jäger Eckhard Fuhr sein erstes Mal. Dass er beim Anblick der Beute nicht vor Glück losheulte, sei nur seinem zurückhaltenden Wesen geschuldet und nicht der mangelnden Intensität seiner Empfindungen, schreibt er. Tiefste Befriedigung erfüllte ihn ob dem erlegten Tier. Endlich hatte er Beute gemacht!

Diese tiefe Ergriffenheit beim Beutemachen ist ein Gefühl, das wohl jeder passionierte Jäger in so einem Moment empfindet. Das Weidwerk ist Leidenschaft, was schon in der liebevoll gepflegten Jägersprache zum Ausdruck kommt, und eine Bühne für die grossen Emotionen. Kein Wunder, beschäftigt sich auch die romantische Oper mit den Gefühlswallungen des Jägers. «Was gleicht wohl auf Erden dem Jägervergnügen», schmettert der Jägerchor im «Freischütz» zum Klang der furiosen Jagdhörner und der donnernden Pauken. Freilich eine rhetorische Frage, die der Chor gleich selber beantwortet, indem er die Jagd zur «fürstlichen Freude» und zum «männlich Verlangen» überhöht, welches die Glieder erstarken lässt und das Mahl würzt.

Wie fad und brav klingen neben solch aristokratisch-weidmännischem Pathos doch moderne zweckrationale Argumente, welche zur Legitimierung der Jagd dargeboten werden! Es werden kulturelle (Wahrung von Traditionen), ökologische (Natur- und Artenschutz) und ökonomische Ziele (Schutz vor Wildschäden) ins Feld geführt, welche die Jagd zur schieren Notwendigkeit erklären. Dass diese Argumente umstritten sind, wird in politischen Diskussionen immer wieder sichtbar, gegenwärtig etwa in Zusammenhang mit der Sonderjagd im Kanton Graubünden, die eine Volksinitiative verbieten möchte.

Auch jenseits der profanen politischen Diskussion lassen viele Jagdskeptiker die rationalen Argumente für die Jagd nicht gelten. Sie sehen für die Erreichung der drei genannten Ziele überall unblutige und stressfreie Alternativen. Oder sie verkehren die Argumente sogar in ihr Gegenteil. Der Biologe Josef H. Reichholf ist der Meinung, dass die systematische Bejagung die Reproduktionsleistung der Tiere ankurbelt, womit die Jagd sozusagen zum Motor just jener Entwicklung wird, die zu bekämpfen sie für notwendig erklärt.*

Nach der Lesart vieler Skeptiker gibt es letztlich nur ein einziges Motiv, das die jagdliche Tötung eines Tieres wirklich unabdingbar macht: «Das einzige Ziel, für dessen Realisierung die Jagd (. . .) unerlässlich ist, ist die Erfüllung der Jagdleidenschaft», schreiben die beiden Philosophen Jens Tuider und Ursula Wolf in einem Fachaufsatz.

Worum also geht es nun wirklich bei der Jagd? Eines ist jedenfalls sicher: Über hehren Naturschutz und wackere Bekämpfung von Wildschäden könnte keiner eine Oper schreiben, zumindest keine, die Erfolg hätte. Geht es also um einen menschlichen Urtrieb? Die Lust am Archaischen? Um Sport, Geselligkeit oder die Freude an der Natur, wie viele Jäger selber sagen? Oder geht es um die Umsetzung eines biblischen Weltbildes, das dem Menschen befiehlt, sich die Welt untertan zu machen?

Oder geht es eben doch nur um die nackte Lust am Töten, die uns sonst überall verboten ist? Und falls ja: Darf man in einer aufgeklärten, auf sozialen Frieden und Toleranz getrimmten Gesellschaft Lust am Töten verspüren? Darf man für diese Lust einem Wildtier Leiden und Schmerzen zufügen, wo doch die Schlachttiere aus der Landwirtschaft ein gesetzliches Anrecht auf schmerzfreie Tötung haben?

Die Menschen – jagende wie nicht jagende – haben sich über alle Zeiten mit der Frage auseinandergesetzt, was die Jagd eigentlich ist. Das erklärte Ziel der Jagd, der Tod des gejagten Tieres, führt zur Irritation. Eine Irritation, die verarbeitet werden muss, in der Kunst, mit Ritualen oder in der Literatur.

Mord und Macht

«Jagd eröffnet einen Freiraum für Verbrechen bis zum Mord und für sexuelle Lust, wann und wo immer gejagt wird. Die wirkliche Jagd ist ohne vorsätzliche Tötung nicht zu haben. Leidenschaftlich Jagende wollen töten. Jagd ohne Mord ist ein Begriff, der sich selber aufhebt.» Diese drastischen Worte stammen nicht von einem militanten Jagdgegner, sondern von einem leidenschaftlichen Jäger. Im hohen Alter hat sie der prominente Zürcher Psychoanalytiker Paul Parin in einem Büchlein über die Leidenschaft des Jägers niedergeschrieben. Darin findet die Tierethikerin Petra Mayr einen Anhaltspunkt, um die Frage zu klären, warum es in der modernen Gesellschaft noch Menschen gibt, die lustvoll töten. Weil bei der Rechtfertigung der Jagd die Leidensfähigkeit der Tiere weitestgehend ausgeklammert wird, kommt Mayr zum Schluss, dass die Freizeitjagd das letzte verbliebene Refugium ist, bei dem lustmotiviertes Töten noch erlaubt ist.

Das Recht, über Leben oder Tod eines Schutzbefohlenen zu entscheiden, ist das Recht des Souveräns. Jedenfalls war es das für die längste Zeit der europäischen Geschichte. Deshalb sieht der Literaturwissenschafter Roland Borgards die Jagd als Herrschaftsmetapher. Der König wird dabei zum Jäger, der entscheidet, wer in seinem Herrschaftsgebiet leben darf und wer nicht. Der Wilddieb wird schwer bestraft, nicht, weil er des Königs Rehbraten stiehlt, sondern weil er dessen Souveränität angreift. Die Jagd war für die längste Zeit nicht «demokratisch», sondern ein Privileg des Adels. Kein Wunder, war sie auch in der Revolution ein Thema. Doch Frieden und Barmherzigkeit durfte das Tier von der Republik und der Egalité nicht erwarten, ganz im Gegenteil. Was Robespierre forderte, war etwas ganz anderes, nämlich: «la liberté illimitée de chasser».

* Tierethik. Zeitschrift zur Mensch-Tier-Beziehung. Altex-Edition. Heft 7. 2013/2.

http://www.nzz.ch/wissenschaft/bildung/ist-jagd-mord-1.18411927

Kommentare


Viewing all articles
Browse latest Browse all 1941