Plage oder Bereicherung?
Der Luchs «F2» wird mit einem Senderhalsband bei Bad Harzburg im Harz freigelassen.
24 Tiere in die Natur gebracht
Die Luchse sind scheu und daher weiß niemand so recht, wie viele Tiere derzeit durch den Harz streifen. Von Menschenhand wurden zwischen 2000, als die Wiederansiedlung begann, und 2006 insgesamt 24 Tiere in die Natur gebracht. Während der Nationalpark soeben begonnen hat, die Aufnahmen von Fotofallen auszuwerten, um erstmals verlässliche Zahlen vorlegen zu können, hat die Jägerschaft Wernigerode nun eine eigene Schätzung vorgelegt. Dieser zufolge leben im Harz wenigstens 120 bis 150 Luchse. Das seien deutlich mehr Tiere als ursprünglich geplant.
Ole Anders ist der Leiter des Luchs-Projekts, das länderübergreifend von Niedersachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen getragen wird. Er hält dagegen: „Es gab keine Zielzahlen. Es geht uns um eine lebensfähige Population im Harz, die in der Lage ist, sich auszubreiten.“ Das geschehe seit zwei, drei Jahren. Inzwischen seien schon kleine Luchse außerhalb des Harzes geboren. Bei Kassel und Hildesheim seien schon Tiere gesichtet worden. „Der Harz ist verteilt unter den Luchsen“, sagt Anders. Den Harz dürfe man sich nicht vorstellen wie ein Aquarium, das immer voller werde. Im April rechnet er mit verlässlichen Zahlen zu den Luchsen - dann sollen die Bilder von 120 Kameras ausgewertet sein.
Die Jäger sehen aber jetzt ihre Beute gefährdet. „Jeder Luchs braucht pro Woche ein größeres Stück Wild, ob Reh, Hirsch oder Muffel“, sagt der Vorsitzende der Jägerschaft Wernigerode, Dietrich Kramer. „Für den Harz bedeutet das bei den mit Sicherheit vorhandenen 120 bis 150 Luchsen einen jährlichen Aderlass von mindestens 8000 Stücken Schalenwild.“ Der Verlust für die Jäger sei enorm: Wenn pro Stück nur 20 Kilogramm angesetzt würden, verputzten die Luchse 160 000 Kilogramm Wildbret. „Das ist Wildbret mit einem Marktwert von rund 500 000 Euro“, betont der Jäger. Das werde in der „geradezu euphorischen Luchsberichterstattung“ ausgeblendet.
Muffelwild durch Luchse beseitigt
Laut Jäger Kramer haben die Luchse schon 2012 das komplette Muffelwild um Wernigerode, Ilsenburg und Elbingerode beseitigt. 400 Tiere seien es einst gewesen. Auch Europas größter reinrassiger Muffelwildbestand rund um das Selketal sei inzwischen stark dezimiert. Rund um den Brocken sichteten Jäger immer weniger Rehe.
Luchs-Experte Anders betont, Rehe und Hirsche seien herrenlose Tiere. Jäger hätten keinen Anspruch auf das Wildbret - demzufolge hätten sie auch keinen Verlust. Zudem seien die Streckenzahlen der angrenzenden Landkreise heute vergleichbar mit denen aus der Zeit vor der Wiederansiedlung des Luchses. Anders sagt, er sehe sich nicht in Opposition zur Jägerschaft. Vielmehr funktioniere das Projekt nur mit ihnen und den Förstern zusammen.
Jäger sorgten einst für das Aussterben des Luchses im Harz. Laut Nationalpark wurde das letzte Tier im Jahr 1818 erlegt.