
Staatsanwaltschaft ermittelt
Muttertiere bei Drückjagd am Schliersee erlegt?
Schliersee - Weil bei einer Drückjagd im November 2014 im Raum Schliersee offenbar drei Muttertiere erlegt wurden, ermittelt der Staatsanwalt. Der Forstbetriebsleiter will dagegen "nicht dramatisieren".
Bei besagter Drückjagd im November „kamen zehn Stück Rotwild und zwei Rehe zur Strecke“, fasst Stefan Pratsch, Betriebsleiter der Bayerischen Staatsforsten Schliersee, in seinem offenen Brief die Vorkommnisse in seinem Forstrevier zusammen. „Bei drei erlegten Alttieren besteht der Verdacht, dass es sich um führende Stücke gehandelt haben könnte.“ Das nicht nur juristische Problem dabei: Es wurde kein Kalb erlegt.
Führende Stücke, so lautet der Fachbegriff für Muttertiere. Wie Pratsch, der bei besagter Drückjagd auch als Jagdleiter fungierte und damit dafür zuständig war, dass die Regeln eingehalten werden, weiter ausführt, haben offenbar „drei Schützen unabhängig voneinander womöglich den gleichen Fehler gemacht: Sie schossen womöglich auf Muttertiere, ohne zuerst das Kalb zu erlegen.“ Sollte dies alles so zutreffen, wurde laut Pratsch „in Kauf genommen, dass die nun verwaisten Kälber vom Rudel ausgestoßen werden und Gefahr laufen, zu kümmern“.
Christian Pölt von der Unteren Jagdbehörde am Landratsamt bestätigt den Vorfall: „Der Fall liegt bei der Staatsanwaltschaft in München und wird derzeit geprüft.“ Ermittelt wird wegen Verstöße gegen Tierschutz und Jagdrecht. Gegenüber dem Miesbacher Merkur beurteilt Pratsch den Vorfall nüchtern: Man wolle „nicht dramatisieren“ und könne nicht mehr tun, „als transparent mit dem Fall umzugehen“. So wie er sich das auch von anderen, nicht staatlichen Revieren wünschen würde. Zudem sei nicht mal sicher, ob überhaupt ein strafrechtlich relevanter Verstoß vorliegt. Im November seien die Jungtiere bereits selbstständig genug, um über den Winter zu kommen. Damit sei der Schutzzweck der Rechtsnorm am Ende gar nicht verletzt.
Doch diese Ansicht ist umstritten, erklärt Fachbereichsleiter Pölt. Es sei richtig, dass die Kälber vielleicht allein überleben könnten – wirklich selbstständig seien sie aber noch nicht. Ohne Muttertiere stehen sie in der Rangfolge der Herde ganz unten und kommen – wenn überhaupt – erst als Allerletzte an die Futterstellen der Förster und Jäger im Bergwald. Folglich schlagen sie sich allein durch und sind, um zu überleben, gezwungen, gerade das zu tun, was das Rotwild eben nicht tun soll: junge Bäume anfressen. Dazu gebe es auch entsprechende Urteile, sagt Pölt. Nun liege es an der Staatsanwaltschaft, wie diese den Fall beurteilt.
In der Praxis ist der Fall alles andere als nüchtern. Er ist hochemotional. Auslöser ist der Grundsatz Wald vor Wild, den das Bayerische Waldgesetz vorgibt. Im Zuge der Waldverjüngung ist es der Auftrag der Jäger, dafür zu sorgen, dass der Wald vor dem Wild geschützt wird – gerade im Winter. Beim Rotwild setzt das Amt für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten alle drei Jahre Abschusspläne für die Reviere fest. Diese Vorgaben sind einzuhalten – sonst gibt es Bußgelder. Doch das Erfüllen der Zahlen ist für die Verantwortlichen – Waldbesitzer, Forstbetriebsleiter und Jäger – schwer und aufwendig. Deshalb sind wenige, dafür aber umso effizientere Drückjagden ein probates Mittel, um Quoten einzuhalten. Das Bild vom Jäger, der im Einklang mit der Natur gezielt Stücke entnimmt, hat in der Praxis allzu oft ausgedient.
Doch auch Drückjagden sind problematisch. Muttertiere können von ihren Jungen getrennt werden, sind dann nur schwer als solche zu erkennen, und auch die beteiligten Jäger sind nicht mehr so handverlesen, wie es vielleicht wünschenswert wäre. Hinzu kommt, dass absolute Waldschutzverfechter – das sagen Jäger, die anonym bleiben wollen – sogar so weit gehen, den gezielten Abschuss führender Stücke zu befürworten, um damit effektiv das Fortpflanzen zu unterbinden.
Für Kreisjagdberater Tobias Hupfauer aus Gmund ist der Fall vom Schliersee nicht die Regel: „Ich gehe von einem Einzelfall aus. Normalerweise werden die Vorschriften eingehalten.“ Das Jungtier zuerst zu schießen, sei international eine waidmännische Grundeinstellung. Dass sie auch dem Gesetzgeber wichtig ist, belege die Tatsache, dass ein Verstoß eine Straftat ist. Und selbst wenn unklar ist, ob es sich um ein tragendes Stück handelt, gibt es laut Hupfauer eine klare Regel: „Der Jäger muss verantwortlich handeln und darf im Zweifel nicht schießen.“